In Sakkara wurde die teilweise weibliche Priesterschaft der Schlangengöttin Niut-schies mit zahlreichen Grabbeigaben bestattet
Die Wissenschafter verwenden Laserscanner- und Photogrammetrieverfahren, um jeden Zentimeter des Grabkomplexes zu kartieren. Illustr.. National Geographic/Schattenindustrie
In der Nekropole von Sakkara am westlichen Nilufer besaß die Priesterschaft einer geheimnisvollen altägyptischen Schlangengöttin eine eigene weitläufige Grabanlage. Ein deutsch-ägyptisches Forscherteam untersucht seit Jahren deren Überreste mit modernsten Methoden – und stößt immer wieder auf Überraschungen. Nun präsentierten die Forscher die jüngsten Forschungsergebnisse.
2016 war das Team der Universität Tübingen in Sakkara rund 20 Kilometer südlich von Kairo auf eine gut erhaltene Mumifizierungswerkstatt mit einer ausgedehnten unterirdischen Grabanlage aus der 26. Dynastie (664 bis 525 vor unserer Zeitrechnung) gestoßen. Die Anlage besteht aus mehreren Grabkammern, die in die Seitenwände eines tiefen Schachts geschlagen wurden. In 30 Meter Tiefe fanden die Wissenschafter insgesamt sechs unberührte Grabkammern mit 17 Mumien vor.
Mitglied des ägyptischen archäologischen Teams an der Ausgrabungsstätte im Herzen des Königreichs der Mumien. Foto: National Geographic/Will Churchill
Schlangenkult mit mächtiger Priesterschaft
Nach einem Jahr Ausgrabungsarbeiten und Dokumentation gehen sie davon aus, dass es sich um einen unterirdischen Friedhof für Priesterinnen und Priester handelt: Durch Texte auf Sarkophagen und Särgen habe man die meist weiblichen Mumien als Priester(innen) einer geheimnisvollen Schlangengöttin namens Niut-schies (wörtlich übersetzt: “Die Stätte ihres Sees”) identifiziert, berichtet Grabungsleiter Ramadan Badry Hussein. Es gebe Hinweise darauf, dass Niut-schies während der 26. Dynastie eine prominente Göttin wurde, ihr war ein großer Tempel in Memphis, der Verwaltungshauptstadt des alten Ägypten, geweiht.
Offensichtlich hatten die wirtschaftlichen Einnahmen dieses Tempels den Priesterinnen und Priestern einen hohen sozialen und ökonomischen Status verschafft. Mindestens zwei Generationen von ihnen wurden im gleichen Grabkomplex beigesetzt. Sie erhielten wertvolle Grabbeigaben wie Sarkophage, Holzsärge, sogenannte Kanopen-Krüge aus Alabaster, Statuetten und eine vergoldete Silbermaske.
Auf dem steinernen Sarkophag des Priesters Ayput steht der Name der geheimnisvollen Göttin Niut-Schies geschrieben. Die Schlangenhieroglyphe am unteren Ende des Namens zeigt, dass diese Göttin die Form einer Schlange hatte. Foto: National Geographic/Piers Leigh
Sechs statt vier Kanopenkrüge
Die sechste Grabkammer war erst im Jahr 2019 hinter einer unscheinbaren Steinmauer entdeckt worden. Dort war unter anderem eine Frau namens Didibastet beerdigt, die offensichtlich eine herausragende Stellung einnahm: Bei ihr fanden die Wissenschafter erstmals in einem ägyptischen Grab insgesamt sechs Kanopenkrüge. Üblicherweise bewahrten die alten Ägypter bei der Mumifizierung Lunge, Magen/Milz, Darm und Leber einbalsamiert in vier eigenen Krügen auf, die in der Grabkammer unter dem Schutz der “vier Söhne des Horus” aufgestellt wurden.
Wie die Durchleuchtung der zusätzlichen Krüge per Computertomografie ergab, enthalten diese ebenfalls menschliches Gewebe. Ein Radiologe arbeitet an der Identifizierung der Organe. Demnach wäre bei Didibastet eine spezielle Form der Mumifizierung angewandt worden, bei der sechs Organe ihres Körpers erhalten blieben.
3D-Photogrammetrie-Modell der sechsten Grabkammer, in der die Priesterin Didibastet beerdigt wurde. Illustr.: Saqqara Saite Tombs Project, Matthias Lang/Philippe Kluge
Einwanderer aus Libyen
Eine Besonderheit sind auch die Herkunft einer Priesterin und eines Priesters aus der gleichen Grabkammer: Sie waren möglicherweise Einwanderer, denn ihre Namen, Ayput und Tjanimit, waren in der libyschen Gemeinschaft verbreitet, die sich ab der 22. Dynastie (943 bis 716 vor unserer Zeitrechnung) in Ägypten niederließ. Das alte Ägypten gilt als multikulturelle Gesellschaft, die Einwanderer aus verschiedenen Teilen der antiken Welt aufnahm, darunter Griechen, Libyer und Phönizier.
Das mit Gold überzogene Silber einer seltenen Totenmaske weist einen Reinheitsgehalt von mehr als 99 Prozent auf. Foto: Saqqara Saite Tombs Project, Ramadan Hussein
Sensationelle Silbermaske
An weiteren Funden wurden inzwischen detaillierte Analysen durchgeführt, so auch an der vergoldeten Silbermaske, die das Team bereits 2018 präsentiert hatte. Sie bedeckte das Gesicht der Mumie einer Priesterin und gilt als Sensation: Von ihrer Art sind weltweit insgesamt nur drei erhaltene Masken bekannt, die letzte wurde 1939 in Ägypten gefunden. “Durch Röntgenfluoreszenz konnten wir feststellen, dass hier außerordentlich wertvolles Material verwendet wurde”, sagt Hussein. Das Silber weise eine Reinheit von 99,07 Prozent auf, das sei sogar mehr als die üblichen 92,5 Prozent bei einem Sterling Silber.
Die in Schalen und Töpfen der Mumifizierungswerkstatt konservierten Fette, Öle und Harze werden derzeit von Archäologen und Chemikern der Universität Tübingen, der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie des ägyptischen Nationalen Forschungszentrums in Kairo analysiert. Die Erkenntnisse zeigen, welche Substanzen im alten Ägypten zur Mumifizierung verwendet wurden, darunter Bitumen, Pistazienharz, Bienenwachs und Tierfett. “Diese Funde aus Sakkara ermöglichen einen einmaligen Einblick in die Balsamierungspraktiken der alten Ägypter”, sagt Philipp Stockhammer, Projektpartner an der LMU München. Die Erkenntnisse seien auch für die moderne Anatomie und deren Konservierungspraktiken von Interesse.
Ramadan Badry Hussein mit der völlig intakten Mumie des Priesters Tjanimit, einer der schönsten Mumien, die er je gesehen hat, wie er selbst meint. Die dunkle Farbe der Umhüllungen ist wahrscheinlich eine Dichtungsschicht aus Bitumen oder Harz. Das dekorative Perlennetz ist mit Goldfolie aufgefädelt. Foto: National Geographic/Piers Leigh
Hochpräzise Vermessung der unterirdischen Gänge
Zudem erfassen die Wissenschafter seit einigen Jahren die gesamte unterirdische Grabanlage mit einer Kombination aus Laserscanning und bildbasierten 3D-Verfahren: So konnte eine hochpräzise 3D-Dokumentation erstellt werden, mit der die räumlichen Zusammenhänge sichtbar wurden.
Die Funde aus Sakkara werden die Forscher noch eine Weile beschäftigen: Aus den Gräbern wurden insgesamt 54 Mumien und Skelette, fünf große Sarkophage, ein Dutzend Kanopenkrüge aus Kalzit (ägyptischer Alabaster) und tausende Shawabtis-Figuren geborgen. Ab Winter 2020 wollen die Forscher wieder vor Ort weiterarbeiten. (tberg, red, 10.5.2020)